Ich würde am liebsten die ganze Welt sehen. Nicht jetzt sofort, aber nach und nach. Ich bin überzeugt davon, dass jedes Land sehenswert ist. Trotzdem gibt es natürlich ein paar Reiseziele, die ganz weit oben auf meiner imaginären Liste stehen. Seit einer Weile schon steht Peru auf Platz 1. Sobald das Kind etwas größer ist, aber bevor wir an Schulferien gebunden sind, wollte ich den Machu Picchu und das wunderschöne Land drumherum sehen.
Seit ein paar Tagen scheint es allerdings so, also könnte sich dieser Reisetraum vielleicht nie erfüllen.
Ich wollte schon längst einen Blogbeitrag darüber schreiben, warum einige Länder für mich als Reiseziel auf keinen Fall in Frage kommen. Ich wollte ausgiebig recherchieren und den Artikel mit vielen Infos und Fakten füllen. Dann kam das Peru-Dilemma – und plötzlich wurd’s persönlich. Daher gibt’s weniger Fakten und dafür mehr Fragen, Verunsicherung und ein bisschen Wut.
Ich bin eine Frau und habe eine Frau geheiratet. Seit 2015 haben wir einen lauten und niedlichen Sohn. Wir sind eine fröhliche, besondere und ganz unspektakuläre kleine Familie, die gerne reist. Also, zumindest meine Frau und ich. Der Junge hat sich noch nicht geäußert und muss einfach mit.
Bisher kamen wir auf unseren Reisen zu zweit oder zu dritt noch in keine wirklich unangenehme Situation, nur weil wir ein lesbisches Paar sind – mit oder ohne Kind. Das sollte eigentlich selbstverständlich sein, ist es aber leider nicht. Warum hatten wir also noch keinerlei negative Erfahrungen? Folgende Erklärungen könnte ich mir vorstellen:
Wir waren bisher hauptsächlich in Europa und sehr westlich geprägten Ländern unterwegs.
Dass das kein Garant für uneingeschränkten LGBT*[1]-freundlichen Empfang ist, ist klar. Dennoch ist in Ländern wie Großbritannien, Spanien und Neuseeland das Risiko ernsthafter Probleme für queere[2] Touristen deutlich geringer als in anderen Ländern.
Wir treffen in vielen Situationen Mini-Vorkehrungen.
Wenn ich eine Unterkunft buche, erwähne ich immer, dass ich eine Frau habe. Hätten die potentiellen Vermieter ein Problem damit, könnten sie einfach schreiben „Sorry, ausgebucht“ und wir müssen uns dort nicht unwohl fühlen. Wir laufen auch nicht in jeder dunklen Gasse händchenhaltend umher.
Vielleicht hatten wir einfach Glück.
Es würde mich nicht wundern, wenn andere queere Paare auch in scheinbar offenen Ländern schon in unangenehme Situationen geraten sind. Möglicherweise hatten wir einfach nur Glück, dass wir bisher nur eklige Blicke und Pfiffe ertragen mussten. Versteht mich nicht falsch, auch das ist Belästigung und ein riesiges Problem. Aber unter diesem Verhalten haben alle Frauen in allen Ländern zu leiden. Diese Belästigungen sind weder queer- noch länderspezifisch und daher hier nicht so relevant.
Ich bin froh, dass wir bisher unbeschwert reisen konnten, aber das ist auch unser gutes Recht. Ja, sogar als queere Familie. Und ich will mich auch weiterhin sicher fühlen auf Reisen. Gerade jetzt, wo wir die Verantwortung für ein kleines Kind tragen. Deswegen würde ich auf keinen Fall in ein Land reisen, in dem Homosexualität strafbar ist. Und das sind noch erschreckend viele. In diesen Ländern steht darauf sogar noch die Todesstrafe:
Länder als mögliche Reiseziele auszuschließen, in denen ich mit einer Haftstrafe oder – wenn auch vielleicht nur theoretisch – einer Hinrichtung rechen muss, fällt mir leicht. Zumal Saudi-Arabien und Somalia bisher sowieso nicht meine Traumziele waren. Aber was ist mit Ländern, die mich vielleicht nicht ins Gefängnis stecken, bei denen an gleiche Rechte für alle aber noch nicht zu denken ist? Was ist mit den Ländern, in denen ein Großteil der Bevölkerung aufgrund religiöser oder kultureller Einflüsse homophob ist? Und wie finde ich heraus, wie die Einheimischen so drauf sind, wenn ich selbst noch nie dort war, um mir ein Bild zu machen? Verlasse ich mich dann möglicherweise nur auf oberflächliche Vorurteile?
Spartacus, ein Reiseführer für schwule Männer, gibt jedes Jahr den sogenannten Gay Travel Index heraus. Hier werden alle Länder auf ihre LGBT*-Freundlichkeit geprüft. Es gibt Pluspunkte für positive Entwicklungen (z.B. gleiche Rechte bei Ehe und Adoption) und Minuspunkte für besonders negative Aspekte (z.B. Haftstrafen). Schweden und Großbritannien führen die Liste mit je 9 Punkten, Somalia und Iran sind mit je -14 Punkten das traurige Schlusslicht.
Und dann ist da Peru. Auf Platz 141 mit -6 Punkten. Laut dem Gay Travel Index haben die Einheimischen in Peru – auch wegen des starken Einflusses der katholischen Kirche – große Probleme mit Schwulen und Lesben und es gibt viele Morde aus homophoben Gründen.
Was nun? Natürlich kann ich mit meiner Familie nach Peru reisen und nur offene, nette Menschen treffen. Wieder Glück gehabt! Aber offensichtlich gibt es da auch einige, die es nicht ok finden, dass ich eine Frau geheiratet habe und wir ein gemeinsames Kind haben.
Ich habe nichts gegen Abenteuer und Nervenkitzel – auch deswegen ist Reisen so großartig!
Aber ich will keine Angst haben, um mich und meine Familie.
Ich respektiere andere Kulturen und Weltanschauungen. Natürlich ziehe ich nicht wild knutschend mit meiner Frau durch die Gotteshäuser dieser Welt. Und ich belästige auch keine fremden Menschen mit Details aus meinem Sexleben. Fun Fact: All das würde ich auch nicht tun, wenn ich einen Mann geheiratet hätte.
Aber ich bin stolz auf meine kleine Familie und ich will zu ihr stehen können. Immer und überall. Ich will die Hand meiner Frau halten können, wenn mir danach ist. Ich will offen sagen können, dass unser Sohn keinen Papa hat, sondern zwei Mamas. Wenn das jemand nicht gut findet, ok. Dann halt nicht. Aber ich möchte die Freiheit haben, mit Gleichgültigkeit zu reagieren, statt mit Angst.
Und nun ist also mein Reiseziel Nummer 1 so überhaupt nicht LGBT*-freundlich. Was natürlich nicht heißt, dass es dort keine offenen, großartigen Menschen gibt, das ist mir schon klar. Trotzdem ist das ein Problem für mich. Im Grunde hab ich jetzt drei Optionen.
1. Ich reise nicht nach Peru.
Ich streiche Peru von Platz 1 meine Reise-Wunschliste und befördere Kanada oder Uruquay. Es gibt noch so viel zu sehen, da muss ich nicht in ein Land, in dem ich mich mit den und wegen der zwei wichtigsten Menschen meiner Welt unsicher fühlen muss. Gleichzeitig unterstütze ich kein Land, das gleiche Rechte für alle weder auf dem Papier noch im Alltag schätzt.
2. Ich reise nach Peru.
Ich lass mir doch von irgendwelchen Idioten nicht vorschreiben, wohin ich reise! Ich nehm die Frau an die rechte Hand und den Sohn an die linke und los geht’s. Natürlich bin ich mit der nötigen Portion Vorsicht unterwegs – aber nächtliche Stadtspaziergänge sind mit Kleinkind eh selten. Ansonsten hoffe ich einfach auf das treue Reise-Glück.
3. Ich reise, aber mit Einschränkungen.
Ich will nicht drauf verzichten, dieses Land zu erkunden. Also reise ich trotz mulmigem Gefühl und der hohen Wahrscheinlichkeit, auf offene Homophobie zu treffen. Zur Sicherheit stelle ich meine Frau dann lieber nicht als solche, sondern beim Vornamen vor. Wir sind eh am liebsten in der Natur unterwegs, da begegnen einem bestimmt weniger Menschen.
Keine dieser drei Varianten ist in irgendeiner Weise ideal. Ideal wäre, wenn wir in Peru ganz ohne Bedenken als die liebenswerte Familie herumreisen könnten, die wir sind. Noch besser wäre, wenn wir das in jedem Land könnten. Egal ob wir hin wollen oder nicht.
Keinen Ahnung, ob ich den Machu Picchu jemals sehen werde.
Fußnoten:
minus 6? Das hätte ich von Peru gar nicht gedacht. Der Vorteil könnte sein, dass keiner denkt, dass ihr ein Paar seid, weil es LGBT dort „nicht gibt“ (ähnlich wie händchenhaltende Männer in arabischen Ländern). Aber will man das?
Hallo Julia,
der „Vorteil“ trägt vielleicht etwas zu Sicherheit bei, aber nicht unbedingt zum generell besseren Gefühl. Und wenn es z.B. so viele Morde aus homophoben Gründen gibt, scheint es den Menschen dort ja schon bewusst zu sein, dass es Schwule und Lesben gibt.
Liebe Grüße
Alex
Danke dir fürs Gedanken aufschreiben.
Mir gehts mit meiner Frau auch so. Und es stört mich sehr, das wir uns über diese Geschichten Gedanken machen müssen.
Deinem Wunsch kann ich mich nur anschließen, überall hinreisen zu können, ohne überlegen zu müssen ob und wie groß das Thema Homophobie im jeweiligen Land ist.
Viele Grüße aus Bayern
Andi
Hallo Andi,
danke fürs Gedanken lesen 🙂 Das haben wir echt nicht verdient, dass wir uns deswegen beim Reisen so einschränken müssen. Ich wünsche dir und deiner Frau dennoch viel Spaß auf allen weiteren Reisen!
Liebe Grüße
Alex
Ich könnte heulen, wenn ich lese, dass deine Freude und Reiselust gedämpft werden, weil es immer noch Menschen gibt, die Liebe mit Hass begegnen. Das ist so falsch! Etwas, worüber man sich nur freuen sollte zu verurteilen. Ich hoffe für dich und deine Familie, dass euch das Glück hold bleibt und dass sich die Welt so schnell wie möglich ändert, sodass ihr nirgendwo Angst haben braucht!
Alles Liebe,
Rosa
Hallo Rosa,
vielen Dank für deinen Kommentar! Ich bin trotzdem weiterhin optimistisch und freu mich auf Reisen in die Länder, in denen ich mich mit meiner Familie sicher fühlen kann … vielleicht gehört irgenwann ja auch Peru dazu, wer weiß.
Liebe Grüße
Alex
Ich bin mir relativ sicher, dass ich diese Länder an Deiner Stelle meiden würde. Als Heteromensch bin ich mir durchaus bewusst darüber, ob mein Reiseziel LGBT-freundlich ist oder nicht. Häufig geht das ja interessanterweise auch mit dem Grad der Gleichberechtigung von Frauen einher. Früher habe ich gedacht, ich möchte diese anderen Erfahrungen machen, heute habe ich da ehrlich gesagt keine Lust mehr drauf. Wie Du schon sagtest: Die Welt ist so groß, da kann ich mir genug ansehen, ohne solche Länder zu bereisen.
Ja, ganz ausschließen würde ich solche Reisen nicht, klar, z.B. wenn mich irgendein Aspekt ganz wahnsinnig interessiert. Ich bezweifel zum Beispiel, dass die Leute in Grönland LGBT-freundlich sind. Offiziell gehört Grönland nunmal aber zu Dänemark und kommt deshalb in Statistiken relativ gut weg.
Und na klar, dann entfällt eben das Händchenhalten, tatsächlich denken die Leute sich ja (erst einmal) nichts dabei, wenn zwei Frauen gemeinsam unterwegs sind. Aber schon aus Prinzip… ich hätte wohl auch meine Zweifel, ob da nicht meine Bockigkeit einsetzen würde, jetzt erst Recht und so. 😉
Wenn ich dann aber auch noch Angst haben müsste, also nein, das wäre es mir nicht wert (schon gar nicht mit Kind).
Liebe Grüße
/inka
Hallo Inka,
richtig, so sehe ich das eigentlich auch. Bockigkeit hat da durchaus ihre Daseinsberechtigung! 🙂 Aber um Peru ist es mir schon sehr schade … glücklicherweise gibt es genug Alternativen. Wenn ich mir deine Bilder und Beiträge so angucke muss ich eigentlich unbedingt auch in die Antarktis. Sicher ein hervorragendes Reiseziel mit Kleinkind 😉
Liebe Grüße
Alex